Ein „Q & A“mit Hartmut Schnedl anlässlich der Performance „Im Schatten der Blauen Lagune“ im Juni 2007
Warum machst du „Literatur an anderen Orten“?
Ich wollte einfach, dass es so etwas gibt: Dass man Geschichten hört und dabei die Atmosphäre des Orts, des Schauplatzes atmen kann.
Was unterscheidet Literatur an anderen Orten von anderen szenischen Lesungen?
Wir haben keine vorgefertigten Texte, die wir irgendwo inszenieren. Unsere Geschichten entstehen vor Ort und in Auseinandersetzung mit dem Ort, seiner Atmosphäre, seiner Geschichte, dem genius loci. Inszenierung und Text sind eine Einheit. Das ist etwas anderes als bei einer Dichterlesung, bei der man als Publikum still auf einem Sessel sitzen muss.
Was hast du gegen Dichterlesungen?
Gar nichts. Nur: Viele Texte sind nicht wirklich zum Vorlesen geeignet, und Autoren sind nicht immer die besten Interpreten ihrer Werke. Es gibt Ausnahmen, es gibt ganz hervorragende Vorleser unter den Autoren. Aber die meisten Bücher lese ich doch lieber selber, allein. Etwas anderes sind Hörbücher, gesprochen von professionellen Schauspielern.
Du bist aber auch keine professionellen Schauspieler …
Wir alle drei kennen unsere Grenzen und unsere Stärken. Es ist spannend, aus dem, was wir haben, das Beste zu machen. Es ist ja nicht so, dass wir zum Beispiel sagen: Wir wollen an jener Stelle etwas Musik – also engagieren wir einen professionellen Chor. Sondern wir müssen uns überlegen: Haben wir dort Strom, an den wir eine Stereo-Anlage anschließen können? Wenn nicht, können wir vielleicht mit dem Auto dorthin fahren um Musik aus dem Autoradio zu spielen? Wenn das auch nicht geht, bleibt uns nichts anderes übrig, als selbst zu singen. Da wir aber alles andere als professionelle Sänger sind, wirkt sich das wieder auf die Geschichte aus. Die Story muss den Grund dafür liefern, dass hier eine Amateur-Sänger-Gruppe auftritt.
Das klingt wie …
Wie bei Alfred Hitchcock. Der hat auch gesagt: Wir haben da einen Mord. Der Mord findet an einem bestimmten Ort statt. Was gibt es hier an Requisiten, um jemanden zu ermorden? Ein Spaten? Ein Gasherd? Küchenwerkzeug? Auch bei Lars von Trier und den Dogma-Filmen gab es diese Spielregel: Verwende nur, was am Drehort sowieso vorhanden ist.
Wenn wir schon bei den Vorbildern sind, gibt es da noch ein paar für dich?
Das sind ja keine Vorbilder, denen ich nacheifere. Es sind nur Analogien um unsere Arbeitsweise darzustellen. Ein gutes Beispiel ist der Film „Carnival of Souls, ein Low-Budget-Horrofilm aus den 60er Jahren. Da gab es diesen Dokumentar- und Industriefilmemacher, Herk Harvey, der eines Tages an einem grotesken, stillgelegten Vergnügungspark vorbeigefahren ist. Plötzlich hatte er die Idee: Hier drehe ich einen Film. Einen Spielfilm. Dann hat er das Drehbuch geschrieben, auf den Ort zugeschnitten. Das ist genau, wie wir arbeiten.
Wie entstehen deine Geschichten? Was inspiriert dich?
Ausgangspunkt kann eine Anekdote sein, die sich an dem Ort zugetragen hat. Aber auch ein Tafel mit einer seltsamen Inschrift oder einem Namen drauf. Ein Zeitungsausschnitt, der dort herumliegt. Manchmal entstehen ganz spontan Bilder. Zum Beispiel gibt es dieses Fertighausausstellung im Süden von Wien. Ein richtiges kleines Dorf, aber die Häuser werden nicht bewohnt. Tagsüber treiben sich da Menschen herum, die ihrem Traum vom Eigenheim nachhänge, nachts ist es dort gespenstisch leer. Irgendwann hatte ich dieses Bild von einem Sandler, einem Unterstandslosen, der auf dem Gelände wohnt, der nur nachts hervorkommt. Er sitzt dann auf den Terrassen und fühlt sich als Herr der Häuser. Aus solchen Bildern entstehen Geschichten. Nicht alles, was einem einfällt, kann auch realisiert werden. Und es kommt gar nicht so selten vor, dass am Ende eine ganz andere Geschichte herauskommt, als man vorgehabt hat.
Eure Inszenierungen bestehen ja immer aus mehreren solchen Geschichten.
Es sind Miniaturen, die verschiedene Facetten des Ortes zeigen. Außerdem sieht man den Ort wie durch unterschiedliche Temperamente.
Kannst du dir vorstellen, einmal eine einzige längere Geschichte zu inszenieren?
Literatur an anderen Orten ist nicht auf Inszenierungen beschränkt, wie wir sie bisher gemacht haben. Es ist im Grunde ein Ansatz, Literatur loszulösen von Buchdeckeln und vom Literaturbetrieb. Wir bringen Literatur dorthin, wo sie keiner erwartet.
Was ist Literatur für dich?
Literatur beschränkt sich für mich nicht auf Geschriebenes und schon gar nicht auf Gedrucktes. Das Medium ist unwichtig. Ob es eine Geschichte ist, die dir ein Sitznachbar im Autobus erzählt, ein Comic, der auf eine Betonmauer gesprayt ist, oder ein Gedicht auf einem Plakat in einem abgeernteten Rübenfeld – das alles ist für mich Literatur.
Kann es sein, dass ihr eure Texte einmal konventionell veröffentlicht?
Bei unseren Inszenierungen sind wir streng. Da gehört die Geschichte dem Ort, und dort soll sie auch bleiben. Es gibt aber einen Kompromiss: Ausgewählte Texte stellen wir als Soundfiles auf unsere Homepage – zum Nachhören.
Aber wir machen ja nicht nur „Literatur an anderen Orten“ und veröffentlichen auch Texte in Bücher und Zeitschriften. Noch mehr Texte liegen unveröffentlicht in unseren Schubladen. Aber das sind Sachen, die jeder für sich macht, unabhängig von Literatur an anderen Orten.
Welche Inszenierung würdest du gerne machen, wenn du alle Möglichkeiten hättest?
Einmal einen Tag lang eine ganze Stadt mit Literatur zu füllen. Mit einem brüllenden Männerchor auf dem Hauptplatz, Pfarrer, die einem im Beichtstuhl verbotene Fantasien zuraunen, Busfahrer, die während der Fahrt short stories erzählen, Märchendichter an jeder Straßenecke, die sich für einen Euro Geschichten aus dem Stegreif einfallen lassen, Filme, die auf Hauswände projiziert werden und wenn man die Telefonhörer in öffentlichen Telefonzellen abhebt, erzählt einem die Dame vom Amt den neuesten Tratsch.